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War die Meteorologie zu unwissend, um Klimaänderungen und den 2. Weltkrieg zu verhindern?
Das Meer macht das Klima.

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C8. Die Kaltschneise über Zentraleuropa – 
Von London über Berlin gen Osten

  1. Hätten gute Fragen Schlimmeres verhindert?

Die vom Atlantik kommenden feucht-warmen Wettergebiete wurden kurz nach Kriegsbeginn immer seltener über Mitteleuropa gesichtet. Die Zyklone zogen nord- oder südwärts vorbei. Im Dezember 1939 war die meteorologische Blockade perfekt und die Westwinddrift ausgehebelt. Statt dessen etablierte sich ein Kältekorridor von London bis Berlin und darüber hinaus. Gerade mal fünf Monate brauchte der 2. Weltkrieg, um im Süden des Vereinigten Königreichs zu ganz ungewöhnlichen Wetterbedingungen beizutragen. Weitaus härter traf es Berlin, das einen Rekordwinter vermeldete, und dies nicht nur einen Monat, sondern sowohl im Januar wie im Februar 1940. Die Länder beider Hauptstädte waren gleichermaßen betroffen.  Ganz Europa zitterte vor der Kälte. Hätte dies vermieden bzw. abgeschwächt werden können, wenn man mehr über den Zusammenhang zwischen einem Seekrieg und dessen Wetterbeeinflussung gewusst hätte? Was waren die Gründe, für die sich die Meteorologie hätte interessieren müssen?

  1. Der Seekrieg und die Wetterlage rund um England

Väterchen Frost, im Falle des Kriegswinters 1939/40 wohl besser als „General Frost“ bezeichnet, demonstrierte seine Stärke und herrschte über Großbritannien von Cornwall bis Schottland im Januar 1940 (TK7, TK8 & TK9; S.71, 85 & 93). Das zeigte sich im mittleren Wales am 23. Januar mit der Rekordtemperatur in Rhaydear-Powys zwischen Cardiff und Liverpool von -23°C. 


Abb. C8-1    siehe nächste Temperaturkarte, TK7

Der große Union Kanal war zwischen Birmingham und London komplett zugefroren. Die Londoner konnten zum ersten Mal seit vielen Dekaden die Themse zu Fuß überqueren. Selbst in Häfen an der englischen Südostküste von Southampton bis Folkestone bestanden schwierige Eisverhältnisse für die Schifffahrt. Vom 27. bis 29. Januar schlug der Frost mit aller Macht mit schwerstem Eisregen und hohem Schneefall zu bei viel Wind, der zu Schneeverwehungen von zwei Metern und mehr führte. Es kam zum Verkehrsstillstand und schweren Schäden, die nicht nur auf einer "natürlichen Ursache’" beruhten, sondern auf Wetterbedingungen, zu denen der Mensch beigetragen hatte. Nach fünf Monaten Seekrieg rund um England lag es auf der Hand, dass sich dies im Wetter widerspiegeln würde. Die Meteorologie hätte es schon damals voraussehen müssen, und die Klimatologie sollte wenigstens heute in der Lage sein, den kalten Januar 1940 mit dem langen Eisregen, dem Sturm und Schnee am Monatsende zu erklären. 

Für die Wetterlage in Europa haben die Meerwasserkonditionen rund um Großbritannien (GB) eine Schlüsselposition. In diese Seewasserstruktur wurde sehr plötzlich und sehr massiv seit Anfang September eingegriffen. Keines der Seegebiete, die sich rund um die Insel erstrecken, wurde ausgespart. Die Meeresumwelt wurde um ein Vielfaches mehr belastet als in den vorausgegangenen Jahren. Unter Belastung wird hier ausschließlich der Eingriff in die Wärme- und Salzstruktur über die verschiedenen Wasserschichten hinweg verstanden. Eine Umweltverschmutzung durch Schiffsladungen (z.B. Öl) oder andere Stoffe (z.B. chemischen Stoffen von Waffen) ist in die Diskussion hier nicht einbezogen. Da der Eingriff in die Wärmestruktur besonders während der Herbst- und Winterphase eine Rückkoppelung mit der Atmosphäre bewirkt, beschränkt sich die Untersuchung, wie auch in anderen Abschnitten hervorgehoben, nur auf das Winterhalbjahr. 

Die Umschichtung innerhalb der Meereswassersäule durch Seekriegsaktivitäten ist ein wesentliches Element für den anthropogenen Einfluss auf das Kriegswinterwetter, sodass zunächst ein kurzer Überblick darüber gegeben wird, was sich im Herbst 1939 rund um England ereignete:

·         Bereits 1939 organisierte die britische Admiralität ca. 120 Konvois nach Nordamerika mit insgesamt 2.500 Schiffen, während von Halifax aus 450 Schiffe in 22 Konvois Richtung England geschickt wurden. Weitere 35 Konvois mit 700 Schiffen gingen nach Gibraltar oder Sierra Leone. Alle Konvois wurden von wenigstens 2 - 3 Kriegsschiffen begleitet. Darüber hinaus erhielten alle Handelsschiffe eine 11,9 cm (4,7 inch) Kanone. 

·         Viele hundert Seeminenfelder wurden von der Royal Navy und der Kriegsmarine in englischen Küstengewässern gelegt. Die Straße von Dover wird mit 3.000 Minen gepflastert, in der die deutschen U-Boote U 12 am 8.10., U 40 am 13.10 und U 16 am 24.10.1939 sinken. Seeminen werden auch im Englischen Kanal ausgelegt (NYT, 17. Dez. 1939).

·         Entlang der gesamten Ostküste von Dover bis Schottland soll eine Minensperre von „30.000.000 pounds“ ausgelegt worden sein (NYT, 11. Jan. 1940).

·         Die Gefahr, die den Seeminen zugerechnet wurde, lässt sich an dem Aufwand ermessen, der für das Auffinden und Räumen feindlicher Minen aufgewandt wurde. Noch 1939 wurden 100.000 Mann (NYT, 10. Dez. 1939) und rund 250 Fahrzeuge für notwendig erachtet (Elliot,  1979). 

·         Luftangriffe auf Kriegs- und Transportschiffe sowie Flugabwehr in großer Anzahl wurden schnell zur täglichen Routine. Z.B. reklamierte eine deutsche Flugstaffel, dass sie mehr als 200 Schiffe angegriffen habe (Schmidt, 1991), und die britische Admiralität bestätigte im Dezember 1939, dass deutsche Flugzeuge innerhalb von drei Tagen 35 Schiffe angegriffen und 7 Schiffe versenkt hätten (NYT, 21. Dez. 1939). Die deutsche Luftwaffe, die auch Marineeinsätze flog, soll damals 1.546 Bomber gehabt haben . 

·         In den ersten sechs Kriegsmonaten sind ca. 22 U-Boote durch rund 4.000 Wasserbombenattacken zerstört worden (Hackmann, 1984). Da jede Attacke aus wenigen bis dutzenden Wasserbomben bestanden haben könnte, können die in den ersten Kriegsmonaten geworfenen Wasserbomben pro Monat 5 – 10.000 Stück betragen haben. 

·         Bis Jahresende 1939 hatten die Alliierten ca. 330 Schiffe mit 1 Million Tonnen verloren. Hinsichtlich der auf und über der See abgeschossenen Munition, der abgeworfenen Bomben und der Anzahl der Flugzeuge, die im Meer versanken, liegen keinerlei Zahlen vor. Sie können bereits während der ersten Kriegsmonate als "unermesslich hoch" eingeschätzt werden. 

·         Unermesslich hoch waren auch die zig-Millionen Seemeilen, die von tausenden Schiffen, von Schlachtschiffen bis zu Torpedobooten und Minensuchbooten, rund um England Tag und Nacht über eine Wassertiefe von bis zu 10 Meter zurückgelegt wurden. 

Nicht jedes dieser Ereignisse hat in Sichtweite von GB stattgefunden. Aber bei allem, was sich vom Atlantik bis zum Finnischen Meerbusen und von der Biskaya bis zum Nordkap abspielte, war das Vereinigte Königreich Zentrum aller Aktionen.

  1. Die Mitwirkung der Nordsee ist nicht zu übersehen

Zunächst ein Überblick über die physikalischen Bedingungen der Nordsee (NS), sodann ein Überblick über ihre besondere Belastung der ersten Kriegsmonate. 

Temperaturkarte 7 (TK7)

Es gibt eine Reihe von Gründen, dass die Nordsee (NS) komplexer als die Ostsee (OS) ist, was u.a. auf Folgendem beruht:

-          Die NS ist ein Teil des Nordatlantischen Systems, während die OS fast völlig separat davon besteht und obendrein durch den hohen Gebirgszug von Oslo bis zum Nordkap zum Teil erheblich vom atlantischen Wettergeschehen abgeschirmt wird.

-          Die Abmessungen der NS sind doppelt so groß wie die der OS (750 km² ./. 377 km²).

-          Das Volumen der NS ist rund fünf mal größer (94.000 km³ ./. 20.000 km³).

-          Die mittlere Tiefe ist doppelt so groß als in der OS (90 m ./. 55 m).

-          Die durchschnittliche Salzkonzentration in der NS liegt bei 34 - 35‰, in der westlichen Ostsee bei 15‰ und nahezu Null im Norden des Bottnischen Meerbusens.

-          Die Strömungen in der NS verlaufen im Uhrzeigersinn, es gibt Gezeitenströme, und die Wellenamplituden können 8 Meter Höhe erreichen.

-          Die Durchschnittstemperaturen an der Seeoberfläche der NS liegen im Sommer bei 17°C, im Winter bei 6°C; in der nördlichen Ostsee (Höhe Stockholm)  bei 17°C und 0°C. 

Abb. C8-2

Die Zahlen ergeben, dass das Wärmepotential der NS erheblich höher ist als das der OS:

-          auf Grund der Größe ist die Kapazität ungefähr fünf Mal so hoch;

-          es kommt permanent neues warmes Wasser vom Atlantik hinzu;

-          wegen der Größe und Nähe zum Atlantik kann der Wind höhere Wellen aufwerfen und damit tiefer in die Wasserstruktur eingreifen;

-          der höhere Salzgehalt führt zu einem stärkeren vertikalen Wasseraustausch;

-          Strömung und Gezeiten bewirken einen stärkeren vertikalen Austausch als in der OS;

-          bedingt durch die sehr geringe Seeeisausdehnung kann die NS selbst in sehr kalten Wintern noch viel Wärme in die Atmosphäre einspeisen, denn selbst zum Ende eines Winters sind die Wassertemperaturen bis auf einige wenige Küstenbereiche noch weit vom Gefrierpunkt entfernt.

In diesem komplexen Gewässer tummelten sich eine Menge von Schiffen und brachten riesige Mengen Kriegsmaterial in die See ein. Nicht ein Gedanke wurde darauf verschwendet, wie sich dies auf den Wärmehaushalt der Nordsee auswirken würde. Immerhin gibt es einen extremen Januar 1940 in England sowie einen Rekordwinter in Nordeuropa, zu dem die Seekriegsaktivitäten, von denen einige aufgelistet werden, beigetragen haben könnten. 

Die folgenden  Informationen beruhen auf Material von J. Rohwer[1] und der New York Times (NYT).

·         3. - 9. September: Vier U-Boote legen Magnetminen in englischen Flussmündungen, durch die vier Schiffe mit insgesamt 16.000 BRT (Bruttoregistertonnen) sinken und eines mit 11.000 ton beschädigt wird,

·         4. September: Die Royal Air Force (RAF) attackiert die deutsche Flotte am Eingang zum Kielkanal (Brunsbüttel) „Nordsee“ – 54 Blenheim und Wellington Bomber des RAF Bomber Kommandos wurden gegen deutsche Kriegsschiffe eingesetzt. 

·         8. September: Die holländische Marine verlor auf eigenen Minen den Minenleger Willem van den Zaan (1.270  BRT) und das Minensuchboot Willem van Ewijk (460 BRT). 

·         8. September: Eine konzentrierte Bomberattacke wurde gegen die schwer befestigte Insel Sylt mit ca. 10 - 15 Maschinen geflogen. Die Flugabwehr knatterte und Bombenexplosionen konnte man hören. 

·         27. September: „Nazi"- Flugzeuge überfallen die „Britische Flotte“. In der Mitte der Nordsee wurde eine Gruppe von Kriegsschiffen, darunter ein Flugzeugträger, Kreuzer und Zerstörer, von ca. 20 deutschen Flugzeugen angegriffen. 

·         29. September: Die Deutschen berichten, dass sechs britische Flugzeuge ein Geschwader der Kriegsmarine bei Helgoland angegriffen hätten.

·         10. Oktober: Für mehr als eine Stunde stürzten sich aus einer Höhe von 1.500 Metern deutsche Bomber trotz heftiger Flakabwehr auf ein britisches Kreuzergeschwader mit Bombenabwürfen zwischen 200 und 500 kg. 

·         12. November: In zwei getrennten Einsätzen legten 7 deutsche Zerstörer Seeminen in der Themsemündung aus, auf der 2 Zerstörer, ein Kutter und rund 20 Frachtschiffe mit insgesamt 60.000 BRT sanken. 

·         23. November: Durch deutsche Seeminen sind in sechs Tagen 22 Schiffe verloren gegangen. 

·         1. Dezember: 300 Quadratmeilen zwischen der Schelde und der Themse wurden von der Royal Navy vermint. 

·         Der an der Südostküste von England auf zwei Minen aufgelaufene britische Tanker San Calisto (8.100 BRT) explodierte mit solcher Wucht, dass die Gebäude an Land erschütterten.

·         4. Dezember: 39 Seeminen sind an der holländischen Küste angetrieben worden und wurden kontrolliert zur Explosion gebracht. 

·         6. Dezember: Deutsche Motorsegelflugzeuge (Glider) warfen 27 Seeminen in der Humber- und Themsemündung ab. 

·         17. Dezember: Vier britische Zerstörer verlegten 240 Seeminen in der Emsmündung. 

·         18. Dezember: Verscheucht von der englischen Küste stürzten sich zwei deutsche Bomber auf das 487 BRT große britische Motorschiff Serenity, durchlöcherten das Deck mit ihren Maschinengewehren und warfen 18 Bomben ab, von denen eine mittschiffs traf und das Schiff versenkte. 

·          19. Dezember: Die schwerste Luftschlacht fand gestern mit mehreren Dutzend Flugzeugen der RAF statt, die die deutsche Flotte bei Helgoland angriff und dabei mindestens 12 Maschinen verlor, wobei die deutsche Seite den Abschuss von 34 Maschinen reklamierte.

Soweit ein Dutzend Ereignisse, die sich zu Hunderten (wenn nicht zu Tausenden) innerhalb der ersten vier Monate in der Nordsee ereignet haben. Diese hat auch die Meteorologie zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie sich daran macht, die Gründe für den Extremwinter 1939/1940 zu erforschen. 

  1. Der Englische Kanal und der kalte Süden von England

Die besonders auffällige Kälte im Süden von England, die schon durch schweren Dauerregen im Herbst 1939 aufgefallen war (siehe Kapitel C4), kann sehr gut mit dem hohen Verkehrsaufkommen zwischen GB und Frankreich und weiteren Schutzmaßnahmen zusammengebracht werden. Jeder äußere Einfluss, sei er durch Wind oder Seekrieg, kann nur kurzem Bestand haben, da ein permanenter Zufluss von warmem Wasser aus dem Atlantik besteht. Das Seegebiet hat eine West-Ost Ausdehnung von rund 560 km und ist am Atlantik Ausgang im Durchschnitt nur 120 m und bei Dover nur 45 m tief. Da die Engländer und Franzosen im Ersten Weltkrieg mit ansehen mussten, wie deutsche U-Boote häufig sehr erfolgreich im Englischen Kanal operiert hatten, wurden große Anstrengungen unternommen dies nun zu verhindern, was durch eine intensive Überwachungstätigkeit und mit Seeminensperren auch gelang. Für die Seewasserstruktur bedeutete dies aber auch: „schütteln und rühren“. 


Abb. C8-3

Hinzu kam, dass das Königreich eine große Armee über den Kanal nach Frankreich schickte und bereits bis Anfang Oktober 158.000 Soldaten sowie 60.000 Fahrzeuge verschifft hatte und sich diese Zahlen bis Anfang 1940 verdoppelten. Dadurch wurde viel Seewasser im Englischen Kanal "umgeschichtet", was mittels erhöhter Verdunstung den verregneten Herbst 1939 und den kalten Januar 1940 in Südengland mit geprägt hat. 

Nach diesem furiosen Angriff auf die Meerwasserstrukturen rund um England war ein höchst wirksamer Kältekorridor etabliert, in dem General Frost mühelos bis an die Atlantikküste vor Irland und England vorstoßen konnte. Wie wirksam sich die Kaltschneise gen Osten erstreckte, soll abschließend am Beispiel Berlin erörtert werden. 

aa) Ein Rekord ist ein Rekord – Die Kälteschneise über Berlin

Dass der erste Kriegswinter nicht dem Muster anderer Kaltwinter wie 1928/1929 und 1946/1947 folgte, wurde schon erwähnt.  Es ist die lange Dauer der Niedrigtemperaturen. Geiger (s.o. A2d) sagte dazu, dass eine Abweichung von 6°C über einen Monat hinweg ungewöhnlich ist, aber über einen ganzen Winter sei es monströs. Legt man diesen Maßstab zugrunde, trifft dies auch für die Station Berlin-Tempelhof zu, deren Messreihe eine der längsten ist. Sie beginnt im Jahr 1701, also während einer Zeit, die noch zur Kleinen Eiszeit gezählt wird. 

In der seit 1701 bestehenden Messreihe rangiert der Winter 1939/1940 in Tempelhof in der Spitzengruppe sehr kalter Winter. Die Korrelationen sind in der Abb.C8-5 zusammengestellt. In der Sektion der beiden Wintermonate (Jan. &. Feb.) liegt der Kriegswinter auf dem zweiten Platz, während der vorausgegangene Dezember 1939 allein nur ungefähr den 37. Platz unter den mehr als 200 Dezembermonaten einnimmt. Rechnet man den Dezember 1939 in den Berliner Kriegswinter mit ein, so steht dieser Winter auf dem dritten Platz.

Dieses Resultat beschreibt nicht notwendigerweise das „ganze Bild“, das mit der Frage umschrieben werden kann: Um wie viel ist dieser Winter von den vorausgegangenen abgewichen? Zur Beantwortung der Frage sind die mittleren Werte der Wintermonate (Jan. und Feb.) der den Extremwintern 1709 und 1940 vorausgegangenen Dekaden 1701/1708 und 1932/1939 gegenübergestellt worden. Die Einzelheiten ergeben sich aus Abb.C8-6. Obwohl der absolute Wert für 1709 den von 1940 um 1,7°C übersteigt, ergibt ein Vergleich der Dekaden, dass die Abweichung von der Norm 1940 um einen ganzen Grad Celsius größer ist. Berücksichtigt man, dass diese Spitzenwerte für Berlin im Kriegswinter 1939/1940 mit Werten aus der Kleinen Eiszeit konkurrieren, die im 18. und 19. Jahrhundert erheblich unter den heutigen Werten lagen, dann war der Berliner Winter 1939/1940 der bei weitem "monströseste", den die Hauptstadt seit 1701 erlebt hat. 


Abb. C8-4, C8-5 (links) & C8-6

 

Der Berliner Winter 1939/1940 ist ein Rekordwinter in einer der längsten Temperaturreihen, die es in Europa gibt. Dies gilt es zur Kenntnis zu nehmen, auch in der Meteorologie, und danach auch Forschungsschwerpunkte zu setzen, um zu klären, welcher Einfluss auf dieses Ereignis dem Menschen zuzuschreiben ist. 

bb) Die Gründe für die Kälteschneise erklärt

Bei der Benennung der vielen Rekorde und Beschreibungen zahlreicher außergewöhnlicher klimatischer Ereignisse ist die Faktensammlung und Darstellung nur ein Mittel, um den Nachweis zu führen, dass der Seekrieg dazu einen Beitrag geleistet hat. Entscheidend ist nicht, ob er klein oder groß war, sondern ob ein anthropogener Anteil vorliegt, der von der Klimaforschung nicht ignoriert werden darf. Dafür kommen sowohl der Krieg seit dem 1. September 1939 im Allgemeinen als auch der Seekrieg insbesondere in Betracht. Nach meiner Überzeugung, die sich schon durch die bisherigen Ausführungen zieht, fällt der exzessiven Meeresnutzung eine Hauptrolle zu. Aus den dargestellten Fakten und Bebachtungen lassen sich Korrelationen erkennen. Je mehr und detaillierter sie sind, desto näher kommt man an eine überzeugende Beweisführung heran. 

Optimal beruht eine wissenschaftliche Beweisführung auf im Labor oder im Feld durchgeführten Sammlungen (Erhebungen, Erfahrungen) von Informationen, die auf gezielten, systematisch verlaufenden Untersuchungen beruhen. Dieser Vorgabe kommt der Seekrieg in Nordeuropa im Winter 1939/1940 sehr nahe. Er ist Teil eines der schlimmsten von einer kriminellen Regierung je angezettelten Krieges; gleichwohl werden dadurch beobachtete Korrelationen, und darauf gezielt und systematisch aufgebaute Untersuchungen, nicht unwissenschaftlich. Jedenfalls können sie sich im Sinne eines Anscheinbeweises ("prima-facie" Beweis) verdichten. 

Diese Lage ist durch einen Vergleich des Kältekorridors von London nach Berlin, bzw. mit dem Kältezentrum über der Ostsee, gegeben. Dies wird durch die Temperaturkarten in TK1, TK4 und TK7 (S. 5, 31 & 71) anschaulich bestätigt. Zwar hat es auch erhebliche Seekriegs- und Transporttätigkeiten von der Biskaya bis zum Nordkap und bis nach Leningrad gegeben, doch der Schwerpunkt lag in drei Gebieten, der Deutschen Bucht, der südlichen Ostsee von Kiel bis Königsberg und im Golf von Finnland. Diese drei Gebiete bilden auch die Achse des Kältekorridors. Dies wird in zwei Darstellungen herausgearbeitet, in denen das Mittel aus Januar und Februar für die Jahre 1935 - 1939 ins Verhältnis zu dem ersten Kriegswinter gesetzt wird, und zwar zum einen in der West-Ost Achse (Abb.C8-7) und zum anderen in Nord-Süd Achse (Abb. C8-8). 

Dass in dieser Kälteschneise mindestens fünf Kälterekorde stattgefunden haben, ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht die Frage, welche Rolle die Deutsche Bucht in diesem Szenario gespielt hat. Während vier Rekorde an Orten in England (-23,3°C in Rhaydaer (Powys), Polen (mit -41.0°C in Siedlce), Estland (mit -43,5°C in Jögeva) und Russland (mit -42,2°C in Moskau) im Januar 1940 gemessen wurden, ereignete sich der von Hamburg mit -29,1°C erst am 13. Februar 1940 (s. Abb. C1-5). Vergleicht man dazu die Temperaturkarte (TK7, S. 71) für Februar, so ist der Rekord an diesem Ort besonders erstaunlich, da Hamburg am Rande des Kältezentrums liegt, das genau über der Ostsee liegt (siehe TK4). Dies kann als ein Beweis des ersten Anscheins für die besonders durch Seekriegsaktivitäten ausgekühlten Nord- und Ostsee gesehen werden. 


Abb. C8-7

Abb. C8-8 

 

  1. Zusammenfassung

Zwischen den Regionen mit extrem niedrigen Wintertemperaturen und den besonders von Seekriegsaktivitäten betroffenen Gebieten ließ sich von verschiedenen Gesichtspunkten ein deutlicher Zusammenhang nachweisen. Dies wird besonders durch den beschriebenen „Kältekorridor“ deutlich, der sich von England über die Ostsee in den Osten erstreckt. Der Zusammenhang zwischen den kriegsbedingten Anstrengungen vom Englischen Kanal bis zum Finnischen Meerbusen, die besonders hohe Belastung der Meeresumwelt durch die deutsche Kriegsmarine in der Deutschen Bucht und der südlichen Ostsee sowie Kältezentren, wie z.B. Berlin, lassen wenig Raum, noch von einer "natürlichen Klimavariation" zu sprechen. Als Begründung ist sie untauglich. Dafür fällt die Tatsache, dass z.B. Berlin mit dem kältesten Winter der Kleinen Eiszeit seit 1701 konkurrieren konnte, zu sehr aus dem Rahmen. Der Winter 1939/1940 hatte physikalische Gründe, die nachweislich auf die Herbst- und Winterbedingungen der westeuropäischen Meeresgebiete hinweisen, zu denen die enormen Seekriegsaktivitäten beigetragen haben. 


[1] Jürgen Rohwer (2007), „Chronik des Seekrieges 1939-1945“; Hrg: Bibliothek für Zeitgeschichte, Württembergische Landesbibliothek; Stuttgart 2007, zusammen mit Gerhard Hümmelchen. http://www.wlb-stuttgart.de/seekrieg/chronik.htm

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