www.seatraining.de     www.seatraining.de     www.seatraining.de
War die Meteorologie zu unwissend, um Klimaänderungen und den 2. Weltkrieg zu verhindern?
Das Meer macht das Klima.

Inhalt - A1, A2, A3, B, C1, C2, C3, C4, C5, C6, C7, C8, C9, D, E1, E2, E3, E4, E5, E6, F, G1, G2, G3, H, I, J, K-pdf, L-pdf 

Zur
1. Seite

 
 
 
 

 

C5. Wurde die Westwinddrift vom Land- und Seekrieg blockiert?

a. Eine Jahrhundertblockade

Eine der stärksten meteorologischen Blockaden im 20. Jahrhundert, wenn nicht in den letzten 150 Jahren, baute sich während der ersten Wochen und Monate des 2. WK auf (TK7, S.71). Es ist nicht zu erkennen, dass die Wissenschaft sich dieser je ernsthaft angenommen, geschweige eine überzeugende Erklärung angeboten hat. Andererseits erhielt eine in der Wirkung vergleichbare Blockade im Winter 2009/2010, die die Ursache für den kältesten Winter in Europa seit rund 30 Jahren wurde, viel Aufmerksamkeit (s. TK11, S.117, Januar 2010, unten rechts). Die Antworten wären vielleicht überzeugender ausgefallen, wenn die Blockade im Herbst und Winter 1939/1940 gründlich analysiert worden wäre. Die Frage lautet, warum wurde die Westwinddrift, die warme und feuchte Luft nach Europa und weiter gen Osten bringt, früh und nachhaltig im Herbst 1939 geschwächt und kam im Dezember zeitweilig ganz zum Erliegen. 

Als Westwindzone oder Westwinddrift bezeichnet man die atmosphärische Luftzirkulation in den mittleren Breiten der Erde (ca. 40 Grad und 60 Grad), die teilweise bis zur geographischen Breite von 70 Grad reichen kann. Als Teil der planetarischen Zirkulation verläuft sie immer von West nach Ost. Bei Zirkulationsstörungen entstehen starke Wellenlinien, d. h., die Strömung weist Ausschläge nach Norden oder Süden aus. In großen Höhen (10-15 km) wird die Luftzirkulation als „Jetstream“ bezeichnet, der eine Geschwindigkeit von rund 500 km/Std. erreichen kann. Bis zum 2. WK wusste man über den „Jetstream“ wenig und sprach in der Meteorologie nur von Westwinddrift. Wie es zu deren Abschwächung im Herbst 1939 gekommen ist, wird im Folgenden erläutert.

  1. Die ersten Kriegstage und das Tief in der Deutschen Bucht

Nichts deutete am 1. September 1939 darauf hin, dass die Beschießung von Danzig durch das ältere Schlachtschiff „Schleswig-Holstein“ und die darauf folgenden zigtausend Kriegs- und Seekriegsaktivitäten in der Ost- und Nordsee alsbald meteorologische Wirkung zeigen könnten. Große Teile der deutschen Flotte operierten vom Tage Null an in und von der Deutschen Bucht aus. Auch englische Schiffe sowie Kampf– und Bombenflugzeuge tauchten wiederholt in der Deutschen Bucht auf. Die deutsche Kriegsmarine begann unverzüglich eine breite Seeminensperre von der Seegrenze mit Holland bis hoch zum Skagerrak zu legen. Die genaue Anzahl der Minen ließ sich nicht verifizieren, sie dürfte aber zwischen 40.000 und 80.000 gelegen haben. Ein Autor meint, dass die Deutschen bei Kriegsbeginn über ein Arsenal an Seeminen von 200.000 verfügten (Elliot, 1979). Davon wurden auch viele in der Ostsee und vor Englands Ostküste verlegt. Auch die Engländer warfen Seeminen vor Helgoland ab. Viele Minen explodierten aus sehr unterschiedlichen Gründen, besonders jedoch, wenn Bomben oder Wasserbomben in Minenfeldern abgeworfen wurden. Die Möglichkeit, dass sich diese enormen Aktivitäten und Eingriffe in die Meeresumwelt meteorologisch ausgewirkt haben könnten, soll an einem früheren Ereignis dargestellt werden. 

Wurde ein Tiefdruckgebiet durch die Seeminenleger vor Helgoland in die Deutsche Bucht gezogen? Es stand am 10. September nördlich von Schottland. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass das Tief Dänemark querte und in Richtung Ostsee zog, war hoch. Doch kurz vor Jütland schwenkte das Tief gen Süden, durchquerte die Deutsche Bucht und verließ erst am 13. September in Belgien den Nordseebereich. In diesem Zeitraum hatte die Deutsche Bucht das höchste Wärmepotential einerseits und war betroffen von einer hoch aktiven Kriegsmarine andererseits. Unschwer lässt sich der Zusammenhang erkennen, nämlich dass ein Tiefdruckgebiet besonders Gebiete anstrebt, die feuchte und warme Luft abgeben können. Solche und ähnliche meteorologische Situationen wird es zu Hunderten gegeben haben; man muss sie nur erkennen und analysieren. 


Lässt sich in Verbindung mit den Aktionen der deutschen Kriegsmarine in der Deutschen Bucht im Sept.1939 ein Einfluss auf Luft  und  Meer erkennen? 

__z.B. aus dem Weg eines Tiefs (oben) und der Wassertemperatur vor Helgoland (rechts), die im September ein Rekordhoch hatte.    
Abb. C5-1


Abb. C5-2

  1. Die Blockade wurde erkannt, aber nicht verstanden

Es dauerte ganze drei Monate, bis sich die Blockade voll etabliert hatte. Anfang Dezember 1939 hatte der Atlantik seine Rolle, Europa mit feucht-warmer Luft zu bedienen, verloren. Dies brachte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in ihrer Ausgabe am 14. Januar 1940 sehr schön zum Ausdruck:

„(ml.) Die strenge Kälte, die im Laufe dieser Woche ganz Europa überflutet hat, stellt keineswegs ein hereingebrochenes Phänomen dar, bildet vielmehr den Höhepunkt einer Entwicklung, deren Anfänge bis in die erste Dezemberwoche zurückgehen. An deren Ende begann sich über Nord- und Mitteleuropa hoher Luftdruck zu stabilisieren, der die tiefen atlantischen Zyklonen vom Kontinent fernhielt und sie meist durch die Gewässer um Grönland und Island nach dem Eismeer ablenkte. Die so von Grund aus veränderte europäische Großwetterlage wirkt sich zu Beginn der zweiten Dezemberdekade mit zunächst leichten Frösten auch in der Schweiz aus,…“

Was der Wetterexperte der NZZ nicht wahrgenommen hatte, war die Tatsache, dass sich diese Situation bereits seit dem September entwickelt hatte. 

Hier sind einige Auszüge von Wetteranalysen der Seewarte in Hamburg von September bis Dezember 1939 zur Demonstration, dass die Möglichkeit für eine Wetterblockade und als Folge der sehr kalte Winter bereits früh erkennbar waren:

-          19. September 1939: Intensive Zyklon-Tätigkeit im Nordmeer. Die im Norden bestehende Westdrift verlagert sich mehr und mehr in den Süden.

-          23. September 1939: Mit dem Eintreffen der Luft in Mitteleuropa kann sich ein stärkerer Zyklon entlang dieser Rinne entwickeln und später seine Wirkung in Mitteleuropa entfalten.

 Temperaturkarte 6 (TK6)

-     29. September 1939: Die generelle Wetterlage zum Monatsende lässt klar das kommende Ende der Spätsommerperiode erkennen, wonach eine Zeit erhöhter Zyklonentätigkeit in Europa eintreten sollte. 

-          13. Oktober 1939: Zusammen mit einem Randtief hat der erste merkliche Ausbruch maritimer Luft Norddeutschland erreicht. Trotzdem kann mit einer Fortsetzung des Durchzugs von Westwind (Westwinddrift) vorläufig nicht gerechnet werden.

-          19. Oktober 1939: Eine breite Hochdruckbrücke hat sich zwischen den Hochs im Atlantik und Skandinavien gebildet. Die gleiche Wettersituation wie im Vormonat. Eine Hochdruckzone bewegt sich vom Atlantik über Skandinavien nach Russland. Niedrigdruckgebiete bleiben nördlich und südlich davon.

-          23. Oktober 1939: Das Wetter ändert sich. Die Hochdruckbrücke, die das Azoren- und Russland-Hoch verbindet, ist getrennt worden. Ein Wechsel zu einer Westwindlage ist am Rand deutscher Küstengewässer vorhanden. 

Abb.: C5-3

-          28. Oktober 1939: Die Hochdruckbrücke von Mittelskandinavien nach Schottland bleibt bestehen. Der Zufluss von kalter Luft aus dem Nordmeerraum ist abgeschnitten.

-          2. November 1939: Die Zirkulationssysteme scheinen nordwärts verschoben, so dass das Roßbreitenmaximum eine um etwa 15 bis 20 Grad nördlichere Lage als normal einnimmt und die westdriftartige Wirbeltätigkeit über Europa nur den hohen Norden aufsucht. 

-          5. November 1939: Es sieht jetzt ganz danach aus, dass, wie in früheren Jahren auch, eine Westwinddrift mit lebendiger Zyklonentätigkeit über Europa ab Mitte des Monats beginnen wird.

-          30. November 1939: Eine sehr schwache Westwindwetterlage hat sich in Nord- und Mitteleuropa durchsetzen können.

-          1. Dezember 1939: Die ziemlich deutliche atlantische Frontalzone der letzten paar Tage löst sich auf. 

-          8. Dezember 1939: Der Zufluss warmer Luft aus dem Westen scheint stärker zu sein als der Rückzug kalter Luft, so dass die Hochdruckbrücke bestehen bleiben könnte, obwohl sich die Frontzone bei England nur sehr langsam nach Osten bewegt.

Bezeichnend für einige Kommentare ist, dass sie von "könnte", "sollte", "müsste" reden und den Fall einer normalen Westwinddrift nicht bestätigen. Diese hochinteressanten Informationen haben meines Wissens bisher in der wissenschaftlichen Literatur keinen Niederschlag gefunden, obwohl sie zur Erforschung von „Blockademechanismen“ viele Erkenntnisse beitragen könnten.   

d.  Fehlte die Kompetenz, den Wind zu lesen?

Ende Oktober 1939 hatten die Wetterexperten der Seewarte festgestellt, dass sich die Windrichtung entgegen aller Regeln diametral geändert hatte. Sie waren aber offensichtlich nicht in der Lage, die Zeichen zu verstehen und wenigstens nach dem Krieg den Vorgang zu analysieren und Schlüsse zu ziehen. In der „Witterungsübersicht“ vom 2. November 1939 steht:

„An fast 2/3 aller Beobachtungstermine wurden in Hamburg Winde aus dem Quadranten N-E (Nordost) gemeldet (65 % davon alleine 33 % E-Winde), während im langjährigen Mittel die N-E Winde nur mit etwa ¼ (26 %) aller Beobachtungen vertreten sind. Die sonst häufigste Windrichtung SW (Südwest, 24 %) war diesmal nur in 9 % aller Fälle zu beobachten. So zeigen schon diese Beobachtungen einer Station das, was die Wetterkarte für ein großes Gebiet erkennen lässt“; siehe Abb. C5-3.

Aus dieser ungewöhnlichen Windrichtungsänderung ließ sich für die damaligen Experten sicherlich noch kein kalter Winter ableiten, aber eine Westwinddriftblockierung schon. Dies umso mehr, als diese Winddrehung auch am Kew Observatorium in England beobachtet wurde, welches einen Zeitraum von mehreren Monaten erfasst und somit noch aussagekräftiger ist. 

e. Eine Jahrhundertausnahme: Die Windrichtung Ostnordost

Abb. C5-4

Am Kew Observatorium (bei London) wurde ermittelt, dass während der Winter von 1788 bis 1942, also über einen Zeitraum von 155 Jahren, nur 21-mal die Winde aus östlichen Richtungen kamen (Drummond, 1943). Davon hatten nur drei Winter, nämlich 1813/1814 (N-Ost), 1840/1841 (N-Ost) und 1939/1940 (Ost-Nord-Ost) eine Resultante nördlicher als Ost (Abb.: rechts). Sieben weitere Winter seit 1841 hatten eine vorherrschend südöstliche Richtung aus SSO bis OSO (1845, 1870, 1879, 1891, 1895,1904, 1929). Alle weiteren 134 englischen Winter wiesen mittlere Windrichtungen aus dem Westen aus. Ähnliche Abweichungen dürften für weite Bereiche in Nordeuropa gegolten haben. Daraus lässt sich auf eine meteorologische Blockade der Westwinddrift und einen Beitrag für die extremen Bedingungen des ersten Kriegswinters schließen. Weiter kann die Winddrehung mit den Seekriegsaktivitäten rund um England und der Ostsee in Verbindung gebracht werden. Aufgrund hoher Verdunstung musste Luft nachströmen.  

f. Wie R. Scherhag den Dezember 1939 bewertete

Seine Untersuchung über die „Zirkulationsstörungen im Jahr 1940“ beginnt R. Scherhag im Dezember 1939, ohne die vielen Anzeichen zu berücksichtigen, die seit Kriegsbeginn erkennbar wurden. Für ihn ist der Dezember 1939 noch weitgehend "normal", was er wie folgt zum Ausdruck bringt:

__Im Dezember 1939 zeigten sich bereits der Beginn einer Druckerhöhung über dem grönländischen Raum, die Abschwächung des Islandtiefs und die Druckzunahme im Azoren- und Mittelmeerraum. Da aber andererseits das Aleutentief zugleich verstärkt und der Luftdruck auch über dem nördlichen Sibirien erheblich erniedrigt waren, ergibt sich das Bild einer etwa durchschnittlichen Zirkulation, siehe: Abb.C4-3.

__Der Dezember 1939 zeigt über Russland statt der positiven Abweichung eine ausgeprägte negative Anomalie, was durch die Abschwächung des Azorenhochs, bei gleichzeitig erheblichen Drucküberschuss über Grönland, als typisch für den Beginn eines extrem kalten Winters angesehen werden kann. Gerade die zusätzliche nördliche Strömungskomponente über Nordeuropa ist dabei für eine Verlagerung des Kältepols in Richtung auf Europa sehr günstig, und dies wird eine wesentliche Ursache für die Ausbildung der extremen Verhältnisse im Januar/Februar 1940 gewesen sein. 

    “Die letzten Ursachen, warum sich nun gerade zum Januar 1940 hin 
über dem gesamten Polargebiet ein derart extrem hoher Luftdruck ausbildete, 
sind uns jedoch noch immer verborgen“ (R. Scherhag, 1951)
.

Nichts ist dem Verborgenen entrissen worden, seit Scherhag dies vor 60 Jahren schrieb, obwohl sich dieses klimatische Großereignis, wie kaum ein anderes, der Forschung andient.  

  1. Ein anthropogener Beitrag zur Vorbereitung eines Rekordwinters

Die Entwicklung der meteorologischen Rahmenbedingungen während der ersten vier Kriegsmonate kann man kaum als launenhaften Ausrutscher der Natur bezeichnen. Ihr zeitlicher wie räumlicher Zusammenhang mit den Kriegsaktivitäten ist unverkennbar. Dies ließ sich besonders gut an den Bewertungen der Seewarte zunächst nur schwach ausgeprägter und schließlich erlahmender Westwinddrift demonstrieren. Stattdessen hatte sich im Dezember 1939 ein stabiles Hochdruckgebiet über Europa etabliert, das sehr kalte Luft aus dem Norden zuführte und warm- feuchte Luft vom Atlantik abwehrte (siehe: Abb. C2-4; S. 36). Heute bezeichnet man so eine Situation als „Wetterblockade“ (blocking), wobei ein hohes Luftdruckgebiet der Bewegung maritimer Zyklonen (Tiefdruckgebiete) eine andere Richtung aufzwingt. Der Herbst 1939 führte die Entwicklung und Wirkung einer Wetterblockade vor, wie sie besser nicht sein kann. Es ist, als wenn ein Großversuch stattgefunden hätte. 

Rein praktisch war es ein Großversuch, der seit dem 1. September 1939 in Europa lief. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch nicht die geringsten Anzeichen, dass sich über die Herbstmonate eine Wetterblockade über Nordeuropa aufbauen würde. Das änderte sich schnell, nachdem der 2. WK physikalische Kräfte von gigantischem Ausmaß freisetzte. Luft- und Landaktivitäten griffen direkt in den Status der Atmosphäre ein, z. B. wenn tausende von Flugzeugen ihre Kondensstreifen in den Himmel schrieben oder brennende Dörfer und Städte in Polen Staub und Asche in die Höhe trieben, wo sie als Kondensationskerne für Regen in Betracht kamen. Besonders die Seekriegsaktivitäten von dem Englischen Kanal bis zum Nordkap und zum Golf von Finnland waren geeignet, die Richtung von Tiefdruckgebieten zu beeinflussen, für den Dauerregen entlang des Rheins hohe Luftfeuchtigkeit zur Verfügung zu stellen und die vorherrschende Windrichtung so zu gestalten, wie es sie seit 100 Jahren nicht mehr gegeben hatte, nämlich aus dem Nordostquadranten. Dies sind alles Kriterien, die zur Blockadebildung in der Wetterlage zum ersten Kriegswinter beigetragen haben. Sie sind anthropogenen Ursprungs und sollten daher besonders akribisch von der Klimawissenschaft verstanden und analysiert werden.

Inhalt - A1, A2, A3, B, C1, C2, C3, C4, C5,   NEXT> C6, C7, C8, C9, D, E1, E2, E3, E4, E5, E6, F, G1, G2, G3, H, I, J, K-pdf, L-pdf 

Zur
1. Seite